Ist das eigentlich kulturelle Aneignung? Die schamanische Andentradition und ich
Vor einigen Wochen fleuchte es mich plötzlich an - und ich fragte mich: Ist das eigentlich negative kulturelle Aneignung, was ich mit der schamanischen Andentradition mache? Dass ich als Europäerin das Urwissen der Anden weitergebe?
Und wenn ich zurückschaue, stelle ich fest, dass mich diese Frage schon immer beschäftigt hat, ohne dass ich es „kulturelle Aneignung“ genannt habe.
Denn ich habe es nie für selbstverständlich gehalten, dass ich das Weisheitswissen der Anden erhalten und weitergeben darf, und mich oft - manchmal vielleicht sogar zu oft - kritisch hinterfragt.
„Darf ich das?“, das ist eine mir sehr vertraute Frage. Dahinter steckte und steckt immer noch mein grosser Respekt vor dem immensen Wissensschatz der Heiler:innen der Anden (und vieler anderer Regionen dieser Welt). Und das Bewusstsein, dass ich niemals die Breite und Tiefe dieses Wissens erfassen werde wie die Menschen, die in diese Weisheitskultur hineingeboren sind und seit ihrer Kindheit und Jugend davon durchwoben sind.
Das Faszinierende ist, dass die Heilerinnen und Heiler, von denen ich gelernt habe und lerne, diese Frage immer positiv beantwortet haben: „Ja, Annabell, du darfst!“ Sie haben mich und uns immer ermutigt, eher früher als später anzufangen, unser Wissen, das wir von ihnen erhalten haben, an andere weiterzugeben.
Warum?
Weil dieses Wissen nicht dafür da ist, es zu bunkern und nur zum eigenen Wohle einzusetzen, sondern dafür, dass wir uns als Menschheit auf ein Leben in Harmonie mit uns und Mutter Erde besinnen.
Weil wir alle dieses Urwissen in uns tragen und es darum geht, dass wir uns wieder daran erinnern.
Weil es uns gelingen kann, unsere Perspektive auf uns und das Leben schon mit einem einzigen Lebensprinzip der Andenkosmologie positiv zu verändern.
Diese Ermächtigung spielt sich auf einer anderen Ebene ab als die Diskussion um kulturelle Aneignung - kannst du das spüren?
Wir sind alle Kinder dieser Erde, ist die Botschaft der Andentradition. Dann wird aus dem Gegenüber ein Miteinander, bei dem wir - neben unseren eigenen Kulturen - eine Kultur mit universellen Grundwerten pflegen und weiterentwickeln.